Hanf und Fischernetze: Wie die Autoproduktion nachhaltiger wird

Um Autos umweltverträglicher zu bauen, setzen die Hersteller auch recycelte Materialien ein. Eine Herausforderung dabei: die gewohnten Qualitätsstandards.
Im Volkswagen ID.Buzz kommen laut Hersteller Polyurethan-Rezyklate anstelle von Leder zum Einsatz. Foto: Ingo Barenschee/Volkswagen AG/dpa-tmn

Ananasfasern für die Sitze, Kapok-Nüsse im Stoff und Fußmatten mit alten Fischernetzen: Autohersteller kommen auf immer neue Ideen, um die Produktion von Autos nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter Aspekten des Umweltschutzes nachhaltiger zu machen. Doch mit dem neuen ökologischen Bewusstsein werden die Dinge nicht immer einfacher.

Nicht nur ist es eine Herausforderung, mit zum Beispiel recycelten Materialien gewohnte Qualitätsstandards zu halten - was die Produktion aufwendiger macht. Auch die neuen Öko-Stoffe zu gewinnen, ist komplex. Beispiel Fischernetze.

Bis diese in Fußmatten verarbeitet im Auto liegen, durchlaufen sie einen langen Prozess. Derk Remmers, Berufstaucher, geht mit Gleichgesinnten mehrmals im Jahr für die Non-Profit-Organisation Ghost Diving ehrenamtlich auf die Suche nach Geisternetzen - verloren gegangenen, herumtreibenden, irgendwo verhedderten Fischernetzen. ,,Ich will aktiv etwas gegen die Meeresverschmutzung tun. Außerdem gefällt mir der Ansatz der Weiterverarbeitung."

Nach Angaben von Healthy Seas, einer anderen Non-Profit-Organisation, die die Meere von Müll befreien will, landen jährlich schätzungsweise 640.000 Tonnen Fischernetze im Meer, wo sie für Tiere zur tödlichen Gefahr werden können.

Nach den Tauchgängen werden die Netze an Land gereinigt, getrocknet und schließlich geschreddert. Als Rohstoffe dienen Netze ebenso wie Teppichreste oder Verschnitte der Modeindustrie. Am Ende der Produktionskette entsteht das neue, regenerierte Nylon Econyl, das später zum Beispiel zu Fußmatten verarbeitet wird. Die CO₂-Emissionen bei Aquafil fallen um rund 80 Prozent geringer aus als bei der herkömmlichen Produktion von Nylon auf Erdölbasis. Die Autohersteller und deren Zulieferer nehmen das spezielle Nylongarn gerne ab.

Roberto Rossetti, bei BMW verantwortlich unter anderem für die CO₂-Kalkulation und Sekundärrohstoffquote, sieht mehrere Vorteile von nachhaltigen Werkstoffen und Recyclaten im Fahrzeugbau. Neben der CO₂-Einsparung zählten dazu Festigkeit, Gewichtsreduzierung und Nachhaltigkeit. Derzeit setzt BMW pro Fahrzeug eigenen Angaben zufolge etwa 30 Prozent recycelte Materialien ein, das Ziel sind 50 Prozent. Mit Sekundärmaterialien will BMW den CO₂-Footprint seiner Fahrzeuge weiter reduzieren.

Mit Partnern wie BASF oder Interzero erforscht und entwickelt der Münchner Hersteller neue Recyclingmöglichkeiten, aber auch neue Materialien zum Beispiel Pyrolyseöl aus organischen Stoffen als Basis für neue Kunststoffprodukte. Das Material Deserttex basiert auf Kaktusfasern und Polyurethan-Kunststoff und könnte künftig als Lederersatz dienen.

,,Natürliche Materialien sind interessant, weil sie in der Wachstumsphase CO₂ aufnehmen und Sauerstoff emittieren. Nachwachsende Rohstoffe können dabei außerdem das Gewicht um 30 Prozent gegenüber herkömmlichen Materialien reduzieren", sagt BMW-Mann Rossetti.

Auch bei Volkswagen werden neben CO₂-ärmerem Stahl neue Materialien verwendet, darunter Flachs, Hanf, Kenaf, Zellulose, Baumwolle und Hölzer.

Bei ID.Buzz und ID.Buzz Cargo kommen statt Leder Polyurethan-Recyklate zum Zuge. Für die Sitzoberflächen und Türverkleidungen verwendet VW einen Mix aus recycelten PET-Flaschen und geschredderten T-Shirts.

Mazda setzt indes beim MX30 im Innenraum Kork ein.

Und Mercedes will innerhalb der nächsten zehn Jahre den Anteil von Recyclaten in den Fahrzeugen auf durchschnittlich 40 Prozent erhöhen.

Beim EQS und EQE kommen bereits Kabelkanäle aus recycelten Haushaltsabfällen zum Einsatz.

Für die Lederalternative der Studie Vision EQXX verwendete Mercedes pulverisierte Kaktusfaser und Pilzmyzel, die unterirdische wurzelartige Struktur von Pilzen.

Markus Schäfer, Vorstand für Entwicklung und Einkauf von Mercedes-Benz, betont aber auch die Herausforderung, die die neuen Öko-Verfahren mit sich bringen. Die Materialien müssten unter anderem Temperaturunterschieden von rund 100 Grad standhalten, ohne instabil zu werden, Gerüche abzusondern oder sich zu verfärben.

Aufwendig und teuer

Je nach Bauteil sei das Recycling aufwendig und teuer sowie seien die Sekundärstoffe nicht immer verfügbar. Und: Nicht alle Werkstoffe, die nachhaltig sind, empfinden Insassen auch als schön. Alle Bauteile müssen bei Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit den gleichen hohen Anforderungen entsprechen, ganz gleich, ob aus Primär- oder Sekundärquelle.

Und: ,,Anmutung, Haptik und Optik müssen immer stimmen", sagt Roberto Rossetti von BMW. Nur dann würden sie von den Kunden auch akzeptiert. (dpa)