BERLIN/WIEN/MAINZ. Wenn es um alkoholfreie Weine geht, hat der Chef vom „Habel“ am Reichstag bislang nicht den richtigen Tropfen für seine Getränkekarte gefunden. „Die Produkte ändern sich noch ständig, wir probieren sehr viel, aber der Geschmack ist uns noch nicht ausgeprägt genug“, sagt Münür Sakaoglu.
Dafür hat der Geschäftsführer des Restaurants im Berliner Regierungsviertel eine andere Entdeckung gemacht: „Politiker machen gerne mal einen alkoholfreien Monat, aber sie fragen dann nicht nach einem alkoholfreiem Riesling.“ Sie bevorzugten für diese Abstinenzzeit eher andere alkoholfreie Alternativen, etwa vom Sekt oder von Spirituosen.
Zielgruppe ist nicht der klassische Weintrinker: Das unterstützt die These von Winzer Johannes Trautwein aus dem rheinhessischen Lonsheim. Für seine alkoholfreien Produkte aus entalkoholisierten Weinen, die er mit Tees oder Säften versetzt, hat er eine eigene Zielgruppe ausgemacht: „Das Bild von Verzicht ist falsch. Die Zielgruppe ist nicht der klassische Weintrinker. Wir erschließen mit dem Produkt eine neue gesundheitsorientierte Zielgruppe.“
Damit könnte Trautwein einen richtigen Riecher beweisen. Denn: „Die Nachfrage nach kreativen, qualitativ hochwertigen und alkoholfreien Getränken steigt“, schreibt Trendforscherin Hanni Rützler vom Zukunftsinstitut in ihrem Food Report 2025, „nicht zuletzt durch die Einflüsse des Megatrends Gesundheit und den sinkenden Alkoholkonsum in jungen Generationen.“ Die jüngste Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung könnte die Entwicklung noch befeuern: Sie hat ihre Empfehlung für die tolerierbare Menge an Alkohol gerade erst gesenkt.
Alkoholfreie Weine in der Gastronomie: Doch das Angebot in der Gastronomie scheint den Erwartungen der Gäste noch hinterherzuhinken – unter anderem, weil die entalkoholisierten Weine nicht den sensorischen Erwartungen von Gourmets entsprächen, analysiert Hanni Rützler.
Anders als bei alkoholfreien Bieren, die in den vergangenen Jahren mit einer wahren Qualitätsoffensive immer trinkbarer geworden sind, konnten Weine mit weniger als 0,5 Prozent Alkohol ihren schlechten Ruf noch nicht so richtig abschütteln. „Häufig zurecht, da die Grundweine oft eine schlechte Qualität hatten“, sagt Philipp Rössle, Gründer und CEO von „Kolonne Null“, der sich seit 2018 mit seinem Berliner Start-up der Veredlung alkoholfreier Wein verschrieben hat. Er vermutet, dass „die traditionelle Weinbranche Angst hat, dass Wein als Kulturgut kaputt gemacht wird“ und deshalb für die Entalkoholisierung nicht die besten Tropfen verwendet wurden.
Ein Fehler? Da nicht nur gefühlt seltener Alkohol getrunken wird, sondern mit 115,3 Litern pro Kopf in 2023 auch statistisch knapp 4 Prozent weniger als im Vorjahr, ist der Markt in Bewegung: Die Kellermeister waren zuerst aktiv, dann kam das Interesse der Verbraucher, der Handel hat etwas länger gebraucht und die Gastronomie ist die Letzte in der Reihe, skizziert Trendforscherin Rössle die Entwicklung.
Markt ist in Bewegung, Absatz wächst: Auch wenn alkoholfreie Weine derzeit weniger als ein Prozent am Absatzmarkt deutscher Weine ausmachen, steigen Aufgeschlossenheit, Anfragen und Wachstumsrate: „2023 lag das Absatzwachstum bei 27 Prozent“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI). Der Umsatz im Handel legte mit 54 Prozent doppelt so stark zu. „Das liegt daran“, so Büscher, „dass die Konsumenten bereit sind, höhere Preise zu bezahlen, die unter anderem durch höhere Herstellungskosten entstehen.“
Egal, welches Verfahren eingesetzt wird, um dem Wein den Alkohol zu entziehen, ein hochwertiger, aromastarker Grundwein ist die wichtigste Voraussetzung, sagt Büscher und beobachtet, dass das Angebot auch bei Top-Winzern steigt.
„Der Markt ist in Bewegung“, sagt Jenny Weiss, Chefin der Agentur „Rebblut“, die Winzer, Gastronomie und Handel zusammenbringt. Für sie wird alkoholfreier Wein für die Gastronomie immer relevanter. Würden Gastronomen mehr Produkte finden, die sie geschmacklich überzeugen, wäre auch der Verdienst pro Glas höher als bei einer Apfelschorle. Weiss setzt alle Hoffnungen in die nächste Generation: „Immer mehr junge Winzer bringen langsam Weine auf den Markt, die geschmacklich an herkömmlichen Wein herankommen.“
Food Pairing mit alkoholfreien Weinen: Stimmt die Qualität, haben alkoholfreie Weine oft subtilere Aromen als ihre alkoholhaltigen Pendants. Behält man diesen Aspekt bei der Menüwahl im Hinterkopf, gelingt auch das Foodpairing. Auf die Frage, was es bei der Auswahl der Zutaten und beim Kochen zu beachten gilt, hat Frank Brunswig Antworten.
Der Spitzenkoch aus dem SWR-Fernsehen hat ein komplettes Menü zu alkoholfreien Weinen entwickelt. „Das Essen sollte runterskaliert werden, was die Aromatik angeht“, empfiehlt der Koch. „Es darf nicht zu laut sein, es sollte eher leise und leicht daherkommen.“
Besser Säure statt Fett und Käse statt süßem Dessert: Mit feinen Sinnen sollte man sich dem Geschmack annähern. Große Mengen Fett und Öl oder intensive Gewürze seien fehl am Platz. „Alles, was so leicht sauer ist, passt gut: Ziegen- oder Schafskäse, gepickeltes Gemüse oder Gurken. Ruhig auch Kohlsorten, die nicht so einen starken Kohlgeschmack haben. Spitzkohl zum Beispiel mit einem bisschen Zitronen- oder Orangenabrieb“, sagt Frank Brunswig. „Auch Kräuter sind in ihrer Aromatik gute Begleiter, zum Beispiel Schnittlauch, Koriander, Dill oder Liebstöckel. Schwierig wird es mit Muskat oder schweren Currypasten.“
So empfiehlt der Spitzenkoch zu einem alkoholfreien Riesling zum Beispiel eine gelierte Gurkensuppe mit Ceviche oder zu einem alkoholfreien Rosé einen Salat aus Erdbeeren, Radieschen und Kräutern serviert auf einer Ziegen-Feta-Creme. Soll es zum Hauptgang ein Rotwein sein, zum Beispiel ein Spätburgunder, dann passt eine Perlhuhnbrust. Die darf dann ruhig von einer etwas kräftigeren Sauce begleitet werden.
„Ein herkömmliches Dessert ist eine Herausforderung. Mit Zucker kommt alkoholfreier Wein nicht so gut klar“, sagt Frank Brunswig und serviert zu einem fruchtigen, alkoholfreien Riesling einen Weichkäse mit Aprikosen-Zwiebel-Marmelade und karamellisierten Walnüssen. Seine Erfahrung: „Junger, cremiger Käse funktioniert gut zu alkoholfreiem Wein. Das Aroma von Milchsäure, das durch den biologischen Säureabbau entsteht, schmeckt man in manchen alkoholfreien Weinen. Das passt zu junger, fermentierter Milch, aber nicht so gut zu starken, kristallinem Käse.“