Die Momente nach dem Tod

Der Augenblick, in dem es passiert, überfordert Angehörige oft. Wie verhält man sich richtig? Gibt es „richtig“ überhaupt?
Ein letztes Mal die Hand halten: Nach dem Tod eines geliebten Menschen haben einige Angehörige das Bedürfnis danach, für andere ist das unvorstellbar. FOTO: DPA-MAG

„Die wenigsten Menschen sterben zu Hause“, sagt Karin Scheer. Sie leitet die Hospizarbeit im Uniklinikum Essen und ist Vorstandsmitglied im Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verband. So sterben viele alte Menschen im Krankenhaus oder im Heim. Wer dabei ist, wenn ein geliebter Mensch den letzten Atemzug tut, oder einen Angehörigen tot vorfindet, kommt emotional an seine Grenzen. Wie Menschen damit umgehen, sich in den ersten Momenten nach dem Tod verhalten, das ist vielfältig. Und das darf auch so sein, erklärt die Trauerfachfrau. Was ist das für ein Spektrum an Gefühlen in diesen Momenten nach dem Tod eines Angehörigen? Karin Scheer: Wenn man dabei ist, wie ein geliebter Mensch aufhört zu atmen, ist das wie ein Schock. Ganz normal ist das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo oben und unten ist, ganz aufgeregt zu sein. Man ist sozusagen „out of order“ und in einer Unruhe, bekommt auch Ängste. Es können einem ganz viele praktische Fragen durch den muss ich habe ich Kopfschießen: Wen benachrichtigen, einen Bestatter, wer macht die Beerdigung, wer versorgt mich jetzt finanziell? Es ist ein Moment, in dem die Gefühle von links nach rechts und oben nach unten rasen. Gleichzeitig gerät man in eine Art Starre, in der man gar nicht klar denken kann. Dann ist es gut, wenn man sich vielleicht vorher schon über einiges Gedanken gemacht hat, sich auch manches aufgeschrieben hat, was zu tun ist, weiß, wen man jetzt anrufen kann. Was ist denn in so einem Fall erstmal zu tun?

Scheer: Ist ein Mensch eines natürlichen Todes zu Hause gestorben, braucht man keine Polizei. Man ruft den Hausarzt an, der kommt und die Todesbescheinigung ausstellt. Das kann man, muss man aber nicht sofort tun. Der Tod muss innerhalb von 36 Stunden bescheinigt werden, auch der Bestatter sollte innerhalb dieser Zeit angerufen werden. Ist aber jemand zum Beispiel in der Nacht gestorben, würde ich ja direkt noch gar keinen erreichen. Vielleicht möchte ich aber jemanden aus der Nachbarschaft oder der Verwandtschaft anrufen, damit ich nicht alleine bin. Da muss jeder für sich wissen: Was halte ich aus? Manche Angehörigen bekommen das Zittern oder ihr Blutdruck sinkt oder sie werden unruhig - das ist ganz individuell. Stirbt jemand nicht zu Hause, sondern in einem Heim oder Hospiz, ist jemand da, der sich auskennt und helfen kann. Welche Rituale können in der Zeit direkt nach dem Tod eines Angehörigen helfen? Scheer: Früher waren die Menschen mehr in kirchliche Bezüge eingebunden. Da kam der Pfarrer und es gab Rituale, die man auch braucht, um die Situation zu meistern. Stirbt jemand zum Beispiel auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz, können Angehörige in vieles mit einbezogen werden. Man kann zum Beispiel die Haare des oder der Verstorbenen kämmen, das Gebiss einsetzen, ihn oder sie waschen, den Raum schön herrichten, gegebenenfalls einen Bibelvers aufstellen, den der oder diejenige immer gerne mochte. Entscheidend ist natürlich auch, ob es einen bestimmten kulturellen oder religiösen Hintergrund gibt. Aber all das ist sehr individuell.

Jeder und jede muss schauen, was er oder sie möchte. Manche Angehörigen wollen dabei sein in diesen Momenten, andere schaffen das emotional gar nicht. Man kann sogar noch dann, wenn der Leichnam schon beim Bestatter war, darum bitten, Abschied zu nehmen, indem man den Sarg noch einmal öffnet. Auch eine Aufbahrung zu Hause ist meist in den ersten 36 Stunden nach dem Tod noch möglich. Ist im Grunde erlaubt, wonach ich mich fühle, wenn jemand gestorben ist? Scheer: Es ist alles möglich, entscheidend ist, was ich möchte und kann. Manche bleiben die Nacht noch im selben Zimmer mit dem Partner, verabschieden sich mit einem Kuss. Andere brauchen erst einmal einen Moment Ruhe für sich, um überhaupt zu überlegen, was genau sie jetzt wollen. Für die einen ist es gut, in einer Umarmung noch in großer Nähe zu sein, andere sagen: „Ich halte das nicht mehr aus.“ Beides ist in Ordnung. Es ist wichtig, das zu tun, was für einen selbst richtig ist, egal, wie die Umwelt das vielleicht findet. Kann ich mich auf so einen Moment vorbereiten? Scheer: Durch so eine Situation, dass ein geliebter Mensch stirbt, muss niemand alleine durch. Sprechen Sie Ihren Hausarzt an, der im Gespräch vorbereiten und unterstützen kann und Ihnen zum Beispiel einen ambulanten Hospizdienst empfehlen kann. Dort können Sie jederzeit anrufen und nachfragen. Auch auf der Webseite des Hospiz- und Palliativverbandes finden Sie (www.dhpv.de) Informationen und Hospizdienste bei Ihnen vor Ort. Der Sterbeprozess beginnt dann, wenn es eine entsprechende Diagnose vom Arzt gibt. Kümmern Sie sich daher rechtzeitig, denn es geht nicht nur um den Moment des Sterbens, wesentlich ist die Betreuung vorher und danach.
(dpa)