Eine gefährdete Kulturerbestätte

VON DIRK MÜLLER
Stolberg wird von der Initiative Europa Nostra beim Wiederaufbau nach der Flut unterstützt.
Bevor klar wurde, welche Kutlturerbestätten von der Europa-Nostra-Förderung profitieren, war die Spannung in der Villa Lynen greifbar. FOTO: DIRK MÜLLER

Alle Anwesenden in der Villa Lynan haben regelrecht andächtig den Livestream verfolgt.Vertreter der Bürgerbewegung Europa Nostra waren zum Beispiel aus Brüssel, Berlin und Luxemburg zugeschaltet, begrüßten alle Gäste und drückten ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine aus. Als es darum ging, welches die sieben meist gefährdeten Kulturerbestätten Europas im Jahr 2022 sind, war die Spannung greifbar. Um 10.40 Uhr erfolgte das kollektive Aufatmen und Applaus in der Villa Lynen.

Das historische Zentrum Stolbergs zählt zu den sieben meist gefährdeten europäischen Kulturerbestätten. Damit wird die Initiative Europa Nostra, die als das größte und repräsentativste Netzwerk für das Kulturerbe in Europa gilt, den Wiederaufbau der Altstadt und der historischen Neustadt nach der Hochwasserkatastrophe begleiten. Europa Nostra stellt Stolberg 10.000 Euro zur Verfügung, um Projekte anzustoßen, vor allem aber sind die Expertisen von Fachleuten wie Städteplaner, Architekten und Finanzexperten für die Stadt kostenlos. 

„Wir kennen unsere Stadt genau und haben einen guten Blick von Innen. Doch der objektive und weniger emotionale Blick von Außen, also die Beratung durch Experten von Europa Nostra, ist eine sehr wertvolle Ergänzung und wird eine große Hilfe beim Wiederaufbau unserer Stadt sein“, meinte Patrick Hass. „Zumal der Wiederaufbau vor allem auch eine soziale Herausforderung ist, die mit Städtebau, Denkmal- und Hochwasserschutz Hand in Hand gehen muss, sind wir sehr dankbar für die Unterstützung“, betonte der Bürgermeister.

Von der Förderung für die sieben meist gefährdeten Kulturstätten Europas zu profitieren, sei eine großeChance, sagte Marita Matousek von der Gesellschaft für Stadtmarketing: „Europa Nostra hilft uns dabei, dass der Wiederaufbau nicht nur gelingt, sondern dass die Innenstadt nach erfolgtem Wiederaufbau noch schöner, noch lebens- und liebenswerter wird, als sie es vor der Flut war“, meinte Matousek. Bürgermeister Haas sah noch einen weiteren positiven Effekt: „Europa blickt auf Stolberg, nimmt uns wahr und wir werden nicht vergessen. Es wird mehr Europäern bewusst, dass Stolberg eine wunderschöne Alt- und Innenstadt hat, die aber leider auch bedroht ist.“

Das bestätigte Wolter Braamhorst, der gemeinsam mit Karl Schmeer die Bewerbung bei Europa Nostra initiiert und realisiert hat: „Stolberg kann sich jetzt aber auch selbst stärker im europäischen Kontext wahrnehmen“, erläuterte Braamhorst. „Mit der geografischen Lage gleich neben Belgien und den Niederlanden sowie der Nähe zu Luxemburg, mit Partnerstädten in Frankreich, mit Europa Schulen und als Mitglied im Ring der Europäischen Schmiedestädte ist Stolberg gelebtes Europa. Dieser Gedanke kann nach Innen noch intensiviert werden und nach Außen noch viel stärker dargestellt werden.“

Dem pflichtete auch Karl Schmeer bei, „zumal Stolberg nun als erste deutsche Stadt überhaupt als eine der sieben meist gefährdeten Kulturerbestätten von dem Förderprogramm Europa Nostra profitiert“. Die Initiative zur Bewerbung haben Schmeer und Bramhorst zwei Wochen nach der Flutkatastrophe gestartet. „Wir haben uns dann schnell über eine große Resonanz und viele Unterstützer gefreut. Das ist ein Beweis dafür, wie sehr die Stolberger sich mit ihrer Stadt identifizieren, und macht Mut“, sagte Schmeer. Das so zustande gekommene Netzwerk bleibe bestehen und aktiv, betonte Karl Schmeer. 

„Wir verstehen uns jetzt als verlängerter Arm von Europa Nostra und werden den Wiederaufbau und die Aufwertung von Alt- und Innenstadt konstruktiv begleiten. Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan.“ Wolter Bramm horst ging noch weiter: „Eigentlich fängt unsere richtige Arbeit jetzt erst an. Wir wollen dabei mithelfen, dass die fachlichen Beratungen von Europa Nostra dazu beitragen, dass die Innenstadt wieder aufgebaut wird und dabei im Vergleich zu vor dem Hochwasser deutliche Verbesserungen spürbar sein werden.“

Programm und Bürgerbewegung

Das sieben meist gefährdeten Programm wird von Europa Nostra in Partnerschaft mit dem Institut der Europäischen Investitionsbank durchgeführt. Es wird auch vom„Creative Europe Programme” der Europäischen Union unterstützt. Dieses Programm wurde 2013 ins Leben gerufen und ist Teil einer Kampagne der Zivilgesellschaft zur Rettung des gefährdeten Erbes Europas. Sie sensibilisiert, erstellt unabhängige Bewertungen und gibt Handlungsempfehlungen.

Europa Nostra ist die europäische Stimme der Zivilgesellschaft, die sich für den Schutz und die Förderung des Kultur- und Naturerbes einsetzt. Die Bürgerbewegung ist ein paneuropäischer Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Kulturerbes, der von einem breiten Netzwerk öffentlicher Einrichtungen, privater Unternehmen und Einzelpersonen unterstützt wird und mehr als 40 Länder abdeckt. Er wurde 1963 gegründet und gilt heute als das größte und repräsentativste Netzwerk für das Kulturerbe in Europa.